Dienstag, 23. Februar 2010

Unterschiede Kamerun - Schweiz

(andré) Nachdem ich förmlich dazu gedrängt wurde, einen Gasteintrag zu schreiben (sie drohten mir damit, die restlichen Tage draussen nächtigen zu müssen, sollte ich mich weigern), habe ich mich (in Anbetracht der zu früh eingesetzten Regenzeit) natürlich gerne dazu bereit erklärt.

Worin liegen eigentlich die Unterschiede zwischen Kamerun und der Schweiz?

VERKEHR
In Kamerun kommt man ganz schön ins Schwitzen, aber Grund dafür sind nicht nur die hochsommerlichen Temperaturen, sondern auch der chaotische Fahrstil der Kameruner. Wer ein Auto ohne Beulen und Kratzer sucht, verzweifelt früher oder später unweigerlich. Sicher ist, dass selbst ein bekennender Atheist so manches Stossgebet zum Himmel schickt, wenn er sich per Auto, Motorrad oder zu Fuss in den Verkehr wagt. Hinweisschilder "ici 18 morts" (die höchste gesehene Zahl!) tragen nicht dazu bei, das Leben etwas zu drosseln.
Warnschilder (von Cameroon: Besuch von André)

"No risk, no fun" oder "Born to be wild" scheinen hier die Mottos zu sein. Kein Wunder also, dass auf den Heckscheiben der zahllosen gelben Taxis Sprüche zu lesen sind wie "In God we trust". Apropos Taxi: Ein Handzeichen genügt und schon hält eines an. Selbst, wenn sich bereits 6 Personen darin befinden – wo ein Wille ist, ist schliesslich auch ein Weg, so dass vorne 3 und hinten 4 bequem Platz nehmen können. Ach ja, auf einem Motorrad sind 3 Personen keine Seltenheit und 4 liegen durchaus im Bereich des Möglichen.

Fahrräder hingegen sind äusserst spärlich anzutreffen, was sicherlich damit zu tun hat, dass es sich hierbei um eine Variante des Strassenroulettes handelt (erst 5 solcher Suizidkandidaten sind mir bisher begegnet). Die Fahrbahn wird übrigens in ihrer ganzen Breite genutzt, um bei bis zu 110 km/h anderen Verkehrsteilnehmern, Schlaglöchern oder "Speed-Bumps" (verkehrsberuhigende Bodenschwellen) auszuweichen. Dabei kann es durchaus vorkommen, dass man von rechts überholt wird oder sich von Motorrädern umzingelt sieht. Und wenn dann auch noch ein entgegenkommender Fahrer die Frechheit besitzt, die Strasse ebenfalls benutzen zu wollen, sieht man schon mal sein ganzes Leben vor seinem inneren Auge vorbeiziehen. Selbst Liebhaber der Musik kommen auf ihre Kosten, findet doch ein fortwährendes, mehrstimmiges Hupkonzert statt. Und Gott sei Dank, scheint es in Kamerun weder eine Motorfahrzeugkontrolle noch Umweltschützer zu geben, so dass die Nase noch die ureigene, ungefilterte Luft einatmen darf. Wie Ihr seht, lässt sich der Verkehr in Kamerun mit allen Sinnen geniessen.

MENSCHEN UND IHR ALLTAG
Auch die Menschen sind irgendwie anders. Zunächst einmal sind sie schwarz. Echt wahr, ich verkohl Euch nicht, die sind hier alle schwarz. (Für die Ungläubigen unter Euch, habe ich ein Bild beigefügt, das meine Behauptung stützen soll.)
Mbingo 1 Schulkinder (von Cameroon: Besuch von André)

Und weil ich nun mal weiss bin, bin ich hier etwas Besonderes, man könnte natürlich auch sagen Auffälliges. Von manchen werde ich komisch angeschaut, andere verwenden Worte, deren Übersetzung mir glücklicherweise erspart bleibt (der Ausdruck in ihren Gesichtern genügt mir). In einer belebten Strasse in Yaoundé ziehen sie an meinem T-Shirt und klopfen mir mehr oder weniger sanft auf die Schultern (keine Spur von freundschaftlicher Anerkennung). Wer sich einmal wie ein Schwarzer bei uns in der Schweiz fühlen möchte, sollte unbedingt Schwarzafrika besuchen.
In und um Mbingo hingegen finden sich auffallend viele liebenswürdige Menschen. Sie grüssen freundlich, mit einem Lächeln im Gesicht, geben Dir die Hand (manchmal auch gleich zwei oder drei mal), erkundigen sich, wie es Dir geht und das, obschon ich ein wildfremder bin, ein Ausländer und erst noch ein Weisser! Mal ganz ehrlich, wo in der Schweiz begegnet einem soetwas schon?
Das Lachen der Menschen hier wirkt hochgradig ansteckend! Vor allem von Kindern droht diesbezüglich Gefahr. Schon von weitem rufen sie Dir fröhlich "White Man" (Weisser Mann) entgegen. Manche sind eher schüchtern, andere kommen sogleich angerannt, hin und wieder nimmt Dich sogar jemand bei der Hand. Oder aber es lugen plötzlich zwei weisse Augen aus der Dunkelheit durchs Fenster (um 18:30 Uhr ist es hier bereits finster) – der 6-jährige Nachbarsjunge möchte vorbeikommen und eine Seite im Malbuch verschönern. Ansonsten sieht man Kinder Fussball spielen, wobei nicht immer von einem Ball die Rede sein kann – Hauptsache das Ding ist rund und lässt sich kicken. Oder sie versuchen mit einem Stock einen Reifen am Rollen zu halten. Übrigens gibt es in Kamerun grüne, rote und blaue Schuluniformen, die nicht wirklich zur Unterscheidung der Kinder beitragen, die für mich ohnehin alle gleich aussehen, nämlich herzig.
Gastfreundschaft wird in Kamerun gross geschrieben! Kommt man an die Tür von jemandem, ruft um sein Kommen anzukündigen, wird schon von weitem "Kwa Kwa" gerufen. Und wer zur Essenszeit erscheint, wird sogleich eingeladen. Zeit ist bekanntlich relativ (vielleicht nicht in der Schweiz, aber ganz bestimmt in Kamerun) und so kann sich eine Stippvisite (z.B. um kurz etwas nachzufragen) ohne weiteres auf eine Stunde ausdehnen. Will man etwas fotografieren, so empfiehlt es sich, vorher um Erlaubnis zu bitten. Dies gilt nicht nur für die Leute, sondern auch für deren Häuser. Strikt verboten ist das knipsen von Regierungsgebäuden, Militäreinrichtungen, Flughäfen und Uniformierten. Trotz aller Gastfreundschaft ist ein Preisaufschlag von 25 % für "White Men" (Weisse Menschen) durchaus üblich.
Weitere Unterschiede in Kürze:
- Wo keine Wäscheleine vorhanden ist, wird die Wäsche zum Trocknen auf Steine oder Büsche gelegt.

- In einem 6-seitigen Sicherheitsmerkblatt über Kamerun steht über die Feuerwehr geschrieben: "May come or not come" (Kommt möglicherweise oder auch nicht). Nun ist es in Kamerun üblich, Felder und halbe Berghänge abzufackeln, um kurzfristig frisches Gras fürs Vieh zu erhalten. Wenn sich ein Brand dabei nicht an die Spielregeln hält und seines eigenen Weges zieht, kann ich nur sagen: Feuer frei!
- Ein Rätsel ist es mir geblieben, wie die Leute es schaffen, die sperrigsten, schwersten und unförmigsten Sachen ohne Hilfe der Hände auf ihren Köpfen zu tragen: Holzbündel, Wassereimer, Schuhe, Taschen, Körbe, Gasflaschen, Stangen, Stoffe, Bananenstauden etc. etc. Allein beim Zuschauen stellten sich bei mir heftige Kopfschmerzen ein.

- Hühner werden nicht etwa auf dem Kopf transportiert, sondern eingepfercht in rollenden Körben. Daher stammt übrigens der Ausdruck "Poulet im Körbli".
- Die körperlichen Lasten werden wohl mit ein Grund dafür sein, dass es kaum dicke Menschen gibt. Leider ist Dicksein ein Zeichen von Wohlstand und wird deshalb sogar angestrebt. Dies führt zu einer Zunahme von Diabetes und Bluthochdruck.
- Nach Möglichkeit wird in Kamerun alles wiederverwendet, z.B. PET-Flaschen, Plastiksäcke oder Alufolie. Was an Müll übrig bleibt, wird hinterm Haus verbrannt (es stinkt fürchterlich, wenn das Feuer drei, vier Tage vor sich hinschwelt).
- Stromunterbrüche sind hier an der Tagesordnung und dauern gewöhnlich nur wenige Sekunden oder Minuten, es sei denn, der Regen peitscht die Stromleitung herunter. Dann kann es schon mal eine Woche oder so dauern. Auch für die Elektriker gilt nämlich: May come or not come.

MBINGO BAPTIST HOSPITAL
Kommt ein Patient im Spital an, meldet er sich zunächst beim OPD. Dabei handelt es sich nicht etwa um das örtliche Police Department, sondern um die Patientenaufnahme (Out Patient Department). Hier heisst es dann erst einmal warten. Zunächst muss man sich nämlich an der "Reception" anmelden. Schliesslich muss alles seine Ordnung haben und in gut schweizerischer Manier geht es schön der Reihe nach (fehlt bloss noch, dass man eine Nummer ziehen muss). Wer es besonders eilig hat, sei es wegen starker Schmerzen oder weil er kurz davor steht, den Jordan zu überqueren, sollte sich in einen Rollstuhl oder auf eine Bahre begeben, denn das kann eventuell die Chancen erhöhen, als Notfall angesehen und rascher bedient zu werden. Übrigens mit Geld kommt man ausnahmsweise nicht weiter, da das Spital grossen Wert auf einen korruptionsfreien Ruf legt! Apropos Geld: Nach erfolgter Registrierung ist wieder warten angesagt, bis man an einen weiteren Schalter gerufen wird, der Zahlstelle. Jeder Patient muss eine Jahresgebühr von CFA 1'000.-- (SFr. 2.30) bezahlen und für CFA 650.-- (SFr. 1.50) ein Notizheft kaufen, das als Krankenakte dient (hier werden alle Untersuchungen, deren Ergebnisse, der Krankheitsverlauf sowie Zahlungsbestätigungen aufgeführt). Im Mbingo Baptist Hospital braucht der Patient für die Arztkosten nicht aufzukommen. Er muss jedoch sämtliche Behandlungen, Untersuchungen und Medikamente selber zahlen. Bei einem durchschnittlichen Monatslohn von CFA 33'000.-- (SFr. 75.--) keine leichte Aufgabe! Viele suchen deshalb erst viel zu spät ein Spital auf (was im Endeffekt mehr Kosten verursacht). Und oftmals muss sich eine Familie verschulden, wird sie in ihrer Existenz bedroht.
Erst jetzt, nachdem bereits die eine oder andere Stunde verstrichen ist, bekommt man einen Arzt zu Gesicht. Dessen Aufgabe ist es festzustellen, woran der Patient leidet und ihn an die entsprechende Abteilung zu überweisen. Doch zuvor heisst es zurück an den Start bzw. an die Zahlstelle, um die verordnete Untersuchung zu berappen. Sicher muss ich nicht extra erwähnen, dass dies bisweilen mit langen Wartezeiten verbunden ist. Zeit genug also, um Euch von der Anti-AIDS-Kampagne in Kamerun zu erzählen. Überall begegnen einem hier Stop-AIDS-Plakate, T-Shirts mit der Aufschrift "HIV Treatment Is Effecitve" (HIV-Behandlung ist wirksam) oder "Keep Your Promise" (Halte Dein Eheversprechen) sowie Hinweis-Schilder, wo man sich beraten und testen lassen kann. Die Zahl der HIV/AIDS-Infizierten in Kamerun wird mit 5 - 7 % angegeben, was für Afrika sehr niedrig ist (Schweiz 0,6 %).

Nach dem Zahlen macht man sich auf den Weg zur Untersuchung, wo man – ihr habt‘s erraten – einmal mehr ausharren muss. Da die Kameruner nichts anderes kennen, scheint ihnen das Warten bei drückender Hitze, lauwarmem Wasser und fehlender Klimaanlage wenig auszumachen. Konnten die Untersuchungen endlich durchgeführt werden, müssen diese im Labor ausgewertet werden – und das kann dauern! Da sich, wie ihr langsam erahnen könnt, die ganze Prozedur bis in den nächsten Tag hineinziehen kann, werden die Patienten (auch im Falle eines stationären Aufenthaltes in einem der 30-Betten-Säle) von Angehörigen begleitet.

Diese werden Caregiver (Pflegekraft, Betreuungsperson) genannt und kümmern sich um das Essen und die Pflege des Patienten. Übernachten können sie entweder draussen (mit oder ohne Matte, auf dem Rasen oder auf einem Mäuerchen) oder – bei strömendem Regen – unter dem Patientenbett bzw. auf Bänken im OPD-Gebäude.

Übrigens: Wer etwas an unserem Schweizer Spitalwesen zu beanstanden hat, darf sich jederzeit von der REGA nach Kamerun ausfliegen lassen…
Stirbt ein Patient (nicht immer ist klar, ob es an der Krankheit lag oder einfach an den langen Wartezeiten), so wird ein lautes Klagegeschrei angestimmt. Angeblich werden Kinder weniger betrauert, da sie vor allem Kosten verursachen und noch nichts zum Familieneinkommen beitragen. Am Sonntag erwachte ich um 4:30 Uhr wegen eines solchen "Totengesangs", der bei mir ein beklemmendes Gefühl hinterliess. Leben und Tod geben sich hier die Klinke in die Hand. So durfte ich bei einer Kaiserschnitt-Geburt dabei sein (ein strammer Junge kam zum Vorschein), bloss um 2 Stunden später vom Tod eines ungeborenen Babys in der 22. Schwangerschaftswoche zu erfahren. Im Theater (so wird hier der OP genannt) war ich zudem bei einer Gebärmutter-Entfernung anwesend und hätte auch bei einer Beinamputation dabei sein dürfen, worauf ich aber ohne weiteres verzichten konnte!
Da es in einem Spital zu vielen solch tragischen Ereignissen kommt, gibt es Pastoren, die für die Seelsorge der Patienten und deren Angehörigen zuständig sind. Ihnen kommt auch die wichtige Aufgabe zu, bei einem HIV-positiven Test die Person (und allenfalls den Ehepartner) zu informieren und zu beraten. Zudem findet jeden Morgen von 6:40 bis 7:00 Uhr eine Morgenandacht für alle Angestellten statt, mit Lobpreisliedern, dem Wort zum …Tag und Gebet.

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